ERF Plus - Bibel heute Der zwölfjährige Jesus im Tempel
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„Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Der Titelsong der Sesamstraße hat unzählige Kinder begleitet. Ähnlich lange gibt es die Sendung mit der Maus. Und einer ihrer Ableger ist die Maus-Show, bis Anfang 2024 noch „Frag doch mal die Maus.“ Mit Fragen kommt man weiter. Durch Fragen lernen Menschen.
Für manchen mag es überraschend klingen, aber: Jesus lernt. Und er lernt, wie es Kinder seit jeher tun – durch Fragen. Zwölf Jahre ist er alt, als er diese denkwürdige Reise nach Jerusalem unternimmt. Und bis zu diesem Zeitpunkt wird er seine Eltern schon genug gelöchert haben. „Warum ist der Himmel blau?“ „Wo beginnt der Regenbogen?“ Der Abschnitt wird von zwei Versen gerahmt, die das andeuten: „Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade lag auf ihm“, schreibt Lukas in Kapitel 2, Vers 40 seines Evangeliums. Und er beendet den Abschnitt in Vers 52 mit den Worten: „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“
Jesus entwickelt sich. Er wächst nicht nur körperlich, sondern auch in seinem Geist. Lukas zeichnet ihn ganz als Mensch. Und der Mensch Jesus lernt. Er wächst an Weisheit, auch indem er Fragen stellt und sich mit weisen Menschen unterhält. Das wird in der Bibel immer wieder beschrieben. Im 5. Buch Mose im 6. Kapitel heißt es: „Wenn dich nun dein Sohn morgen fragen wird: Was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der Herr, unser Gott, geboten hat?, so sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand.“
So gibt Gott seinem Volk den Auftrag, Fragen zu stellen und Antworten zu geben. „Welche Geschichte haben wir?“ „Woher kommen unsere Traditionen?“ Am Vorabend des Passafestes stellt das jüngste Kind beim sogenannten Sederabend in der Familie die Frage: „Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?“ Das ist bis heute Tradition.
Jesus ist im Tempel, stellt Fragen und gibt Antworten. Die Gelehrten nehmen ihn ernst. Er sitzt mitten unter ihnen – das bedeutet, seine Gesprächspartner achten ihn als einen der ihren.
Auch Maria und Josef fragen. Die Frage, die sie brennend um- und antreibt: „Wo ist Jesus?“ „Habt ihr Jesus gesehen?“ „Ist Jesus bei euch?“ Als sie ihn in der größeren Reisegesellschaft nicht finden, bleibt nur noch eine Hoffnung: Er muss wohl in Jerusalem sein. Vielleicht kamen sie durch seine Kinderfragen auf den Gedanken, im Tempel zu suchen. Vielleicht hat er außergewöhnlich viel nach Gott gefragt, sich gerne die Geschichten von Abraham und den Vätern des Volkes erzählen lassen. Vielleicht war er schon früh begierig, den Tempel zu sehen. Der Ort hat ihn angezogen – weil es ein heiliger Ort war?
Gott ist überall zu finden und er wird an allen Orten angebetet. Menschen begegnen ihm auf Bergen (Elia in 1. Könige 19) oder am Zelteingang (Abraham in 1. Mose 18). Paulus begegnet Christus auf der Straße nach Damaskus (Apostelgeschichte 9). Und zugleich legt sich Gott auch auf den Tempel fest – obwohl kein Haus ihn fassen kann. Der Tempel ist Gottes Haus.
Jetzt sind es die Erwachsenen, allen voran Maria und Josef, die Jesus befragen und aus seinen Antworten lernen, dazulernen. „Wieso? Weshalb? Warum?“ „Warum hast du uns das angetan?“ Hatten sie erwartet, dass alles so bleibt, wie es war? Jesus, ihr Sohn, tritt einmal in die Fußstapfen seines Vaters, wird ebenfalls ein Handwerker, übernimmt das Geschäft? So ist es Tradition, hier und da heute noch. Vielleicht war es doch zu fantastisch, was der Engel Gabriel zu Maria gesagt hatte – dass Jesus einmal der „Sohn des Höchsten“ genannt wird und Gott ihm den „Thron seines Vaters David geben“ wird. So erzählt es Lukas im 1. Kapitel seines Evangeliums. Das war lange her, auch wenn die Worte gewiss noch im Herzen Marias ruhten.
„Wusstet ihr nicht?“, fragt Jesus und kleidet seine Antwort in eine Gegenfrage. Irgendwo tief im Innern wussten sie es vielleicht. Aber sie erinnerten sich noch nicht daran. Im Moment galt ihr Blick ganz ihrem Menschenkind, ihrem Sohn Jesus – ein Zwölfjähriger, der wie andere auch seinen Eltern folgt, im Haus und bei der Arbeit anpackt, immer noch mehr zu lernen hat als er selbst lehren kann. Es dauert auch für Maria und Josef eine ganze Zeit, bis sie mehr und mehr verstehen, was der Engel Gabriel angekündigt hat. Sie stehen noch ganz am Anfang ihres Lernweges. „Sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte“, schreibt Lukas in Vers 50.
Sie sind nicht die einzigen, denen es so geht. „Sie aber verstanden dieses Wort nicht, und es war ihnen verborgen, sodass sie es nicht begriffen“, schreibt Lukas wenig später in Kapitel 9 Vers 45 über die Jünger. Und in Kapitel 18 Vers 34 klingt es ähnlich: „Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.“
Auch die Evangelisten Matthäus, Markus und Johannes wissen davon zu erzählen, dass selbst die, die Jesus nahestanden und viel mit ihm erlebten, so Vieles nicht verstehen konnten.
Und Jesus gibt ihnen Zeit zu lernen. Ja, er nimmt sich selbst die Zeit, zu lernen. Er sitzt im Tempel nicht als derjenige, der alles weiß. Lukas schreibt, dass Jesus zuhörte und fragte. Der Hebräerbrief überrascht mit einer eigenartigen Formulierung: „So hat er, obwohl er der Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt“, Hebräer 5, Vers 8. Jesus fragt nach dem Willen Gottes und richtet sich an dem aus, was er von seinem himmlischen Vater hört und was er Gott tun sieht, Johannes 5, Vers 19.
Jesus nimmt sich die Zeit zu lernen. Als seine Mutter Maria ihn bei der Hochzeit zu Kana darauf aufmerksam macht, dass der Wein nicht mehr für das Fest reichen wird, ist seine erste Reaktion: „Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Jesus wartet die Zeit ab – bis er das OK vom Vater im Himmel bekommt. Vielleicht, menschlich gesprochen, bis er auch genug entdeckt und gelernt hat – er, das Menschenkind Jesus.
Er nimmt sich Zeit – und er gibt Menschen Zeit, von ihm zu lernen. Das Vorbild ist Maria. Schon nach dem Besuch der Hirten bei dem neugeborenen Jesuskind notiert Lukas am Ende der Geschichte: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“, Lukas 2, Vers 19. So endet auch die Episode im Tempel: „Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“
Jesus wird nicht müde, seinen Jüngern immer wieder ihre Fragen zu beantworten. Er wundert sich manchmal über ihr Unverständnis, ist auch darüber verärgert. Aber er weiß auch, dass Menschen ihren Lernweg haben. Mit Geduld und Barmherzigkeit geht Jesus diesen Weg mit.
Mir macht das Mut, Gott immer wieder mit meinen Fragen zu löchern und es lädt mich ein, mich möglichst oft zu seinen Füßen zu setzen, um zu fragen und zu lernen.
Autor: Pfarrer Matthias Keilholz
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